Wer die feinen Klänge in der Nacht zum 4. Oktober 1957 registrierte, mochte Tiefsee-Sonar vermuten, einen surrealen Unterwassertraum annehmen, doch das Geräusch war echt. Den Hall im All erzeugte SPUTNIK EINS, der erste russische Satellit. Sein Sound, eine Zeitenwende.
Es war ein Coup ohnegleichen: Obgleich der Satellit wenig mehr konnte, als Signale auszusenden, verpasste er der westlichen Welt einen tiefgreifenden SPUTNIK-Schock. Und überließ die USA journalistischer Häme: Mochten die Amerikaner noch so eilig ihren eigenen Satelliten auf die (Umlauf-)Bahn bringen, er bleib ein verspotteter „SPÄTNIK“.
Gemmings Wege zur Kunst begleiten mindestens drei Gewalterfahrungen. Seine autobiographischen Notizen „Erinnerungen an vergangene Tage“* nennen sie nacheinander und stellen so einen direkten Zusammenhang her.
Direct Brands sind die Digital Natives unter den Marken. Was sie wesentlich von Marken klassischen Typs unterscheidet, ist ihre auf Daten beruhende Interaktivität. Bei Direct Brands gehört Interaktion zur Genese, sie ist Markenkonstituens ab ovo, bei klassischen Marken nicht. Zwar bewegen auch diese sich im Netz, sie starten dort aber nicht von Grund auf.
Eins-zwei-drei-vier-fünf….Sekunden fuhr die Rolltreppe an den Plakaten vorbei. Bis ich gecheckt hatte, worum es ging, mein Handy gezückt und das letzte der Poster zu erwischen versuchte, stand ich schon wieder unten. Das Foto unscharf, passte zu meiner Erwartung: Keine Ahnung, was auf mich zukommen würde. Beisitzende, sind das nicht die, die im Wahllokal Personalien abgleichen und sich im Übrigen freuen, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist?! #Spoiler: Jaaaa, auch…
Ein Worldwideweb soll er sein – nur eben zum Ein- und Aussteigen. Am liebsten gleich per Klick vor der Haustür. Rund um die Uhr im Betrieb, überall verfügbar, barrierefrei, Highspeed und mit günstiger Flatrate. Klingt klasse. Dumm nur, dass da noch einige Kleinigkeiten an Hardware, Logistik, Timing zu lösen wären.
Diversity und Frauen, manchmal scheint es, als sei das Thema Diversity nur ein Frauenthema. Dabei zeigen Stichworte wie Neurodiversität oder Inklusion, dass wissenschaftlich und empirisch längst viel breiter zu dem Thema geforscht wird. Mit Recht, denn der Zusammenhang zwischen Übernormung, Anpassung und Leistung ist evident. Wer sich sexuell, religiös, neuronal usw. stets rechtfertigen muss oder seine wahren Bedürfnisse verschleiert, weil sie tabuisiert oder ausgrenzend wirken, wird unter seinem Niveau bleiben.
Minuten können über Leben und Tod entscheiden. Ein neues KI-System, das 48 Stunden früher als bisher Nierenversagen bei Patienten vorhersagen kann, ist wirklich von großem Wert, menschendienlich, nicht nur nachrichtlich betrachtet. Was aber, wenn das alles noch gar nicht ausgemacht ist?
Das mythische Potential von Namen wurzelt in den Schöpfungsgeschichten der Völker. In den Märchen, Fabeln und Legenden lebt es fort, ungebrochen in seiner Güte und Gefährlichkeit. Segen und Fluch liegen nah beieinander, gute Namensfeen stehen neben bös erzürnten. Wer einmal erlebt hat, wie aufrichtig Eltern um den Namen ihres Neugeborenen ringen, spürt etwas vom Ernst des Aktes – genau wie in den Ritualhandlungen Taufe oder Namensfeier.
Als die Deutsche WIRED eingestellt wurde, lautete der persönliche Status von Wolfgang Kerler FIRED. Rückblickend betrachtet, darf man vielleicht sagen, zum Glück, denn sonst hätte es die 1E9-Conference am 11. Juli 2019 womöglich nie gegeben. Die Keynote von Christian Mio Loclair Artificial vanity: creative machines thinking about their future eröffnete mit großem Aufschlag.
KI verhilft uns zum Schlaraffenland. Denn die algorithmisch aufgeschlaute Maschinen übernehmen alle anstrengenden, zeitraubenden und gefährlichen Aufgaben. Im Land, wo Milch und Honig fließen, fliegen uns die frisch gebraten Hühnchen bald auf Zuruf in den Mund. Frieden, Frohsinn und Ausgelassenheit gehören auf jeden Fall im Garten Eden dazu. Fragt sich, wie setzen Fotografinnen und Fotografen das ins Bild? Mit kindlichen Paradiesen! Teil 3) meiner Befunde aus Bildagenturen: Wichtel und Spielzeuge.
KI verlangt uns einiges ab: Geld, Strukturreformen, Perspektivenwechsel. Zur Akzeptanz gehört, sich ein eigenes Bild machen. Keine einfache Aufgabe für Fotografinnen und Fotografen, doch die Meister des flüchtigen Moments kennen Auswege. Teil 2) meiner Befunde aus Bildagenturen: Ziemlich beste Freunde.
Bloggerin Katrin Hilger von Hilgerlicious hat zur mehr Wertschätzung für’s Bloggen eingeladen und eine #Blogparade ausgerufen. Weil schon so viel Kluges dazu geschrieben wurde und bald ein Update, ach, was – ein ganz neu verfasstes schlaues Buch von Bloggerexpertin Meike Leopold von start talking erscheint, möchte ich hier ganz eng am Wort bleiben. Etymologie wirkt nämlich auch.
Ja, stimmt, wir alle wissen, dass es sich bei „Blog“ um ein Kunstwort, eine Neuschöpfung, einen Zwitternamen aus „Web“ und „Logbuch“ handelt, aber was ist eigentlich genau ein „Log“?
Ein Log (auch Logge; v. engl. Log = (ursprüngl.) Holzklotz) ist in der seemännischen Navigation ein Messgerät zur Bestimmung der Fahrt, der Geschwindigkeit von Wasserfahrzeugen. Es zeigt die im Wasser zurückgelegte Strecke an. (Zitat Quelle: Wikipedia)
Das an einem Seil hängende Holzbrett wird, verbunden mit einem Senklot, aus dem fahrenden Schiff geworfen. Da das so beschwerte Holz an der Stelle verharrt, das Schiff jedoch weiterfährt, lassen sich gefahrene Meter und Zeit ins Verhältnis setzen. Was unverzichtbar ist, um die (relative) Geschwindigkeit auszurechnen, ist die abgespulte Logleine.
Ein sehr sprechendes Bild – jedenfalls für mein eigenes Bloggen. Wenn mich ein Thema interessiert, werfe ich neben meinem Schiffchen das Senkblei mit dem Holz aus. Ich fahre also erst mal auf Sicht und in gewisser Weise blind für meine Geschwindigkeit. Der so entstehende Text ist ein Rohling, ausschließlich für mich und nicht zur Veröffentlichung gedacht. Mir wird klar, was ich alles noch nicht weiß, was ich nochmal durchdenken möchte usw.
Fahre ich weiter, führt das dazu, dass ich erneut Seil abrollen muss. Meist bin ich jetzt schon weit entfernt – zumindest von den Empfehlungen zweier wichtiger Gruppen: den Datenanalysten mit ihren für Blogs empfohlenen Zeichenzahlen und den Finanzanalysten mit ihren für Wirtschaftlichkeit empfohlenen Aufwandsangaben.
Als Steuerlotsin nehme ich mir die Freiheit, selbst zu vermessen, wie lang meine Leine sein muss. Stelle ich fest, dass die Geschwindigkeit zu bestimmten Themen schneller ist als ich fahren kann, hole ich das Log aus dem Wasser und publiziere – nichts.
Oder ich publiziere etwas, das so lang ist, wie ein Sachverhalt aus meiner Sicht braucht. Der Preis, den ich dafür in Kauf nehme, sind verstörend lange Zeiten, in den ich nichts blogge und vermutlich zwischendurch als verschollen auf hoher See gelte.
Insofern: Ja, bloggen wirkt, und zwar erst mal bei mir selbst.
Um ein Beispiel zu geben: Zum Thema Künstliche Intelligenz habe ich ein Blog mit dem Namen NatürlichKünstlich eröffnet, das ich gerne schneller befüllen würde, was aber im Zielkonflikt mit meinen Blogansprüchen steht. Das Thema ist zwar sehr en vogue und es gäbe sicher ein Forum für steile Thesen. Dummerweise hat Anspruch beim Bloggen mit Wasser und Holz zu tun.
Die Feststellung, dass andere nur mit Wasser kochen, ist weder beim Bloggen noch auf See wirklich hilfreich. Es fördert kein Vertrauen. Holz ist im Wasser wichtiger als manch einer, der schwimmen kann, denken mag und deshalb gerne kopfüber in kalte Wasser springt.
Im Wasser, erst recht auf hoher See ist Holz überlebenswichtig. Zum Bau von Kanu, Karavelle oder Floß, braucht es dicke Bretter, übrigens genau jene, die sich auch unter den besten Bloggenden finden, weil sie sich den Luxus leisten, dicke Bretter zu bohren. Tl;dr kokettiert damit in gewisser Weise, weil sich Tl;dr nur erlauben kann, wer im vermeintlich Trockenen sitzt.
Ein Longread, das seinen Namen verdient, fesselt seine Leser_innen gerne und langanhaltend. Es hat nicht nur für den Augenblick, sondern mitunter für sehr lange Zeit Bestand. Blogger können Aufgaben wahrnehmen, die für eine Demokratie unverzichtbar sind.* Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft, erst mal bei sich selbst mit dem Blog etwas zu bewirken.
Dann lohnt sich auch die Energie, die es zweifellos kostet, Fahrt aufzunehmen: Um sich und andere mit hinauszunehmen zur Fahrt ins Offene, meinetwegen auch auf zu „Neuland“.
So heißt “to log something.” auf Englisch „etwas abholzen“, im Sinne von Bäume fällen („to cut down trees in a forest for their wood”). Wohingegen “to log on/off” bekanntlich ein elektronisches sich Ein/Auswählen oder Ein-/Ausschalten bedeutet. Auch dies eine bemerkenswerte Etymologie, die einiges über den Zusammenhang von Holz und Strom – metaphorisch vom Zusammenhang zwischen Print und Digital – verraten könnte.
Volle Fahrt voraus heißt immer öfter Kollisionsgefahr mit Unvorhersehbarem. Bei der Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz spielen Geschwindigkeit, Geländegewinn und Genauigkeit jedenfalls mal mit-, mal gegeneinander. Gefahr und Gewinn hängen, so gesehen, am selben Faden oder Seil.
In einem Blog präzise an seinem Tau zu ziehen kann darum mehr bringen als das beliebte Tauziehen.
Blogs können wirken, jedenfalls beim Bloggenden selbst.
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*Vgl. dazu einen älteren Beitrag von mir „Können Blogs den klassischen Journalismus ersetzen?“
Der Forschungsgipfel 2019 (#FoGipf19) war sicher nicht auf Show ausgelegt. Vielmehr bot das Format ein gutes Spektrum über den derzeitigen Diskurs verschiedener Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung im weitesten Sinn. Weiterlesen →
Ich weiß noch, was ich dachte, als ich den Hashtag las: Jetzt übertreiben sie’s aber. Erst die Unterzeile: „#mythosmultitasking. Im Alltag schwierig. Im Straßenverkehr tödlich“ machte mich auf meinen Irrtum aufmerksam. Nicht positiv, als Ikone, sondern negativ, als Chimäre, wurde der Begriff Mythos hier gebraucht. Ausgeschrieben war ein Pro Bono Wettbewerb für mehr Verkehrssicherheit. Unser eingereichter Film „Du warst einfach weg“ erzielte Platz 6.
Human Resources befindet sich im Wandel: einerseits soll sie Aufgaben wie Talent-Entwicklung, Reorganisation, Administration sicherstellen, andererseits soll sie klug, agil und kostenbewusst Ressourcen für das Business von morgen, besser übermorgen steuern. Immer früher werden HR-Abteilungen in Business-Prozesse involviert, damit das Unternehmen über die richtigen Kompetenzen am richtigen Ort zum vernünftigen Preis verfügen kann. Weiterlesen →
Als eine Kernaufgabe des Vorstandsvorsitzenden gilt die Kommunikation mit diversen Anspruchs- oder Dialoggruppen. Die hervorgehobene Position des CEOs als prominentester Mitarbeiter verleiht seinen Worten besonderes Gewicht. Weiterlesen →
Herr Professor Kopiez, Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Friedrich Platz eine Studie mit dem Titel „Wenn das Auge Musik hört“ durchgeführt. Was genau haben Sie untersucht? Wir haben erforscht, wie stark unsere Wertungen von Musikerauftritten durch die sichtbare Komponente beeinflusst wird. Das Ergebnis ist relativ einfach: Um eine Schulnote wird es besser bewertet, wenn wir die Spieler sehen und hören im Vergleich mit einer nur gehörten Darbietung.
Hat sie das überrascht oder war das Ihre Ausgangshypothese? Wir ahnten schon, dass es in diese Richtung gehen wird, weil wir in der Musikgeschichte eine lange Tradition von Berichten haben, in denen es um Live-Auftritte geht. Denken Sie an Paganini und Liszt, es ist gut dokumentiert, wie fasziniert die Menschen davon waren, wenn diese großen Virtuosen live spielten. Es gab daher schon eine gewisse Vorannahme in unsrer Studie über die Richtung des Effekts, allerdings wusste niemand bisher, wie stark quantifiziert dieser Einfluss sein würde. Wir können es nun konkret umrechnen: in genau eine Schulnote.
Gibt es denn Juries, die rein auditiv urteilen? Sieht man als Juror bei einem Wettbewerb nicht immer den jeweiligen Künstler spielen? Nein, das ist leider nicht so, denn es wird unterschiedlich gehandhabt. Bei den Orchesterprobespielen finden die ersten Vorrunden häufig hinter einem undurchsichtigen Vorhang statt. Da sieht man keine Details, man weiß nicht, ob es sich um einen Mann oder Frau handelt, oder welche regionale Herkunft die Person hat. E wird damit versucht, so etwas wie eine Unabhängigkeit vom Sehen herzustellen. Aber das Widersprüchliche ist dann, dass in den Endrunden tatsächlich die ganze audiovisuelle Person bewertet wird. Ich glaube, man muss auch beides bewerten, weil der Konzertbesucher am Ende auch für beides bezahlt. Die Spieler müssen visuell präsent sein, sie müssen akustisch präsent sein, sie müssen auch als Person auf der Bühne wirken können, ansonsten haben sie im Live-Konzertbetrieb kaum eine Chance.
Welche Konsequenzen leiten Sie aus diesen Befunden ab? Die Bühnenperformanz ist ein Bereich, der noch nicht voll entwickelt ist! An den Hochschulen, an denen die Musikerausbildung stattfindet, ist es häufig sogar so, dass man sehr viel Zeit in das instrumentale Training investiert, dort die großartigsten Ideen entwickelt aber dann kommt der Moment, in dem der junge Musiker die Bühne betreten muss und relativ allein gelassen ist. Ich glaube, dass man an der Stelle viel professioneller agieren könnte und zwar in Analogie zum Instrumentalunterricht, der ja auch auf höchstem Niveau stattfindet.
Also ein Plädoyer für verbesserte Bühnenperformanz? Man sollte mal überlegen, wie man mit Hilfe von Schauspielern und deren Bewegungslehre eine Bewusstheit für die Körpersprache entwickelt. Für das Gehtempo, für den eingenommenen Stand, dafür, wie die Spielposition erreicht wird, wie der Kontakt zum Publikum aufgenommen wird. Bisher sind das mehr oder weniger Zufallsprozesse. Wir plädieren dafür, das Wissen anderer Disziplinen, etwa der Bewegungslehre zu verwenden, um die Person als ganze Person zu entwickeln, die ja letztlich überzeugend tätig sein muss.
Ist damit auch Training gegen Lampenfieber gemeint? Eher nicht. Wir denken eher daran, die Stärken zu verstärken damit die künstlerische Person wirksam und sichtbar wird. Worum es in dieser Livesituation geht, ist doch letztlich Persuasion. Ich will jemanden überzeugen, und zwar mit dem, was ich an Ideen habe und, mit den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Daher sollte herausgefunden werden: Was sind meine persönlichen Wirkungsmittel, mit denen ich arbeiten kann? Intervention gegen Lampenfieber überlassen wir den Kollegen aus dem musiktherapeutischen Bereich.
Welchen Umfang sollte die Schulung der Bühnenperformanz im Curriculum einnehmen? Man sollte sehr früh, gleich im ersten Semester, damit anfangen. Es ist ja ein Bewusstheitstraining, weshalb es ein fester Bestandteil des Curriculums sein sollte.
Gibt es im Ausland schon Erfahrung mit dem Training der Bühnenperformanz? Soweit ich sehe, ist das bisher nicht der Fall, allerdings ist das Performanztraining im Bereich der populären Musik schon viel weiter, denn dort gibt es das Bühnencoaching als festen Bestandteil der Ausbildung. Dort geht man viel offensiver mit dieser Herausforderung um: in der Rock- und Popmusik kann man sich überhaupt nur noch durchsetzen, wenn man ein gutes Live-Konzept hat, das zur Band, zum Performer passt.
Also Dieter Bohlen & Co auch für Klassik und Jazz? So geht das natürlich nicht in jedem Bereich. Das Konzept ‚Bühnencoach‘ funktioniert nicht normativ. Das Neue, das wir hinzufügen, ist der Begriff der „Angemessenheit“. Die Bühnenperformanz muss sowohl an die Erwartungen des Publikums als auch an das Genre angepasst sein. Das sieht im Klassikbereich anders aus als in der Jazzmusik und in der Kammermusik anders als beim Klavierabend. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt. Gerade im Jazz und in der Klassik ist die Bühnenperformanz enorm wichtig, weil eine viel größere Nähe zwischen Aufführendem und Publikum besteht als bei einem Rock-oder Popkonzert. Dort liegen ja oft noch 20 oder 30 Meter Abstand dazwischen.
Was raten Sie Musikern, die Ihre universitäre Ausbildung abgeschlossen haben, die sich aber gerne weiter entwickeln würden? Gibt es Workshops? Ja, das gibt es tatsächlich. Man muss sich da am Schauspiel orientieren. Dort spielt die Bewegungslehre als ein Mittel der Kommunikation neben dem gesprochenen Wort eine ganz zentrale Rolle. Schauspieler arbeiten viel bewusster mit dem Einsatz von Körpersprache, Mimik, Gehgeschwindigkeit, also viele kleine Mikrosignale, die Professionalität vermitteln und auf die Zuschauer ganz schnell anspringen. Da kann man sich beim Schauspiel schon mal guten Rat holen.
Kann das auch jemand tun, der kein Charismatiker ist? Ja, ich denke, alle können davon profitieren, denn am Ende wissen wir ja gar nicht, was Charisma eigentlich genau ist. Für viele scheint es so zu sein, als sei das ein Geschenk des Himmels. Wir vertreten da eine nüchterne Position und glauben eher, dass man durchaus lernen kann, Leute, mit den persönlich verfügbaren Mitteln zu faszinieren. Diese Wirkungsmittel muss ich aber freilegen, wie das Nugget im Gestein, dann kann es auch zu seiner Wirkung kommen.
Was bedeutet das Ergebnis Ihrer Studie für den Einsatz von You Tube? Sollten Musiker in gute Videos investieren, um an Gigs zu kommen? Ja, da gehen wir sogar noch einen Schritt weiter. Bei Bands ist es ja häufig so, dass hier nicht nur die Einzelperson wirkt, sondern dass der gesamte Raum ‚Bühne‘ genutzt werden muss. Die Stage Performance und das Show-Konzept müssen gut bedacht werden. Da kann man viel von großen erfolgreichen Bands, die schon lange im Geschäft sind, lernen. Die wissen, dass das Publikum am Ende auch unterhalten werden will, es muss eine Präsenz vorhanden sein im visuellen und im auditiven Bereich. Es gilt, gute Ideen zu entwickeln und es gibt Profis in diesem Bereich, mit denen kann man zusammen auch eine gute Live-Performanz erarbeiten kann.
Welche Forderungen ergeben sich aus Ihren Befunden für die Ausstrahlung von Konzerten etwa durch den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk? Bei Fernsehübertragungen von Musik, unabhängig vom Genre, sollten die Aufnahmeleiter darauf hinwirken, dass es nicht nur die Totale als Einstellung gibt oder die übliche Bildkreuzung von Fagott und Oboe, sondern dass häufig eben auch Details eine große Rolle spielen, so etwa die Mimik des Spielers oder das Aufzeigen von, wie wir das nennen, Signalen des Engagements: das kann das Schwitzen sein, das mir als Zuschauer zeigt, dass jemand 100%igen Einsatz gibt, das kann aber auch schon der Gang zum Spielort sein auf der Bühne.
Im Jazz ist es ja häufig so, dass die Musiker eine sehr legere Form des Auftritts anstreben, angefangen vom Kleidungsstil bis hin zum Gespräch mit ihrem Publikum. Haben Sie in Ihrer Studie etwas darüber herausgefunden, ob das Outfit der Musiker eine Rolle spielt? Ja, das spielt es, aber nicht normativ. Kleidung muss angemessen sein. Natürlich wird keine klassische Geigerin auf der Bühne im Nachtclubdress spielen, das geht eben nicht. Aber beim Jazz kann das Legere auch das Angemessene sein, das von der Mehrheit des Publikums auch geschätzt wird. Das wissen wir aber noch nicht genau, weil das Jazz-Publikum in dieser Hinsicht noch relativ wenig untersucht ist.
Sie planen bereits eine neue Studie, in der untersucht werden soll, wie das Konzertpublikum Musiker bewertet. Sie vermuten, dass es verschieden Typen unterscheidet. Ja, es gibt schon Hinweise darauf. Wir können bisher nur sagen, wie es in der klassischen Musikkultur bei Geigensolisten funktioniert. Es geht in unserer Studie um einen Violin-Wettbewerb, bei dem wir die Teilnehmer und ihre Auftritte videografiert haben. Grob gesagt können wir zwei große Gruppen unterteilen: die mit dem akzeptablen Auftritt und die mit dem weniger akzeptablen. Die unterscheiden sich in relativ wenigen, aber gut sichtbaren Merkmalen. Beim Geigenspielen zum Beispiel sind schwitzige Finger in der linken Hand ein Problem. Wenn sich aber die Spieler zur Beruhigung immer an die Hosennaht fassen oder ans Kleid fassen, um ihre linke Hand abzuwischen, dann sind das keine besonders guten Signale. Sie vermitteln eher Unsicherheit und fehlende Dominanz, der Spieler ist nicht so richtig Herr der Situation. Das ist etwas, was nicht angemessen ist.
Das heißt, man sollte entweder lernen, seine Körperfunktionen besser zu regulieren oder ein Hilfsmittel wie ein Taschentuch verwenden? Ja, ein Taschentuch ist kein Problem. Angemessene Hilfsmittel, das kann auch ein kleines Tuch sein, sind ok und dem Publikum durchaus vermittelbar. Das ist bei Pianisten auch der Fall, das versteht das Publikum.
Welche anderen Signale gelten als souverän? Einen großen Effekt erzielen Spieler mit einer ordentlichen Standposition. Also weder zu breit – wie bei John Wayne – noch zu schmal. Man muss dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, dass man eine Erdung hat. Das sind Signale, die werden als souverän und resolut vom Publikum eingestuft. In der Regel werden diese resoluten Spieler auch positiver bewertet und man möchte ihnen länger zuhören.
Prof. Dr. Reinhard Kopiez ist Professor für Musikpsychologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (MTHMH).
Das Gespräch führte Elvira Steppacher.
Hier ein interessanter Link: Die Studienmacher im Hörfunk-Interview