Wer die feinen Klänge in der Nacht zum 4. Oktober 1957 registrierte, mochte Tiefsee-Sonar vermuten, einen surrealen Unterwassertraum annehmen, doch das Geräusch war echt. Den Hall im All erzeugte SPUTNIK EINS, der erste russische Satellit. Sein Sound, eine Zeitenwende.
Es war ein Coup ohnegleichen: Obgleich der Satellit wenig mehr konnte, als Signale auszusenden, verpasste er der westlichen Welt einen tiefgreifenden SPUTNIK-Schock. Und überließ die USA journalistischer Häme: Mochten die Amerikaner noch so eilig ihren eigenen Satelliten auf die (Umlauf-)Bahn bringen, er bleib ein verspotteter „SPÄTNIK“.
Man kann sich den Effekt kaum wirkungsvoll genug ausmalen. Der Rätselort schlechthin, mit einem Mal erschlossen. Seit Menschheitsgedenken war der Weltenraum (wie man einst Plural formulierte) immer auch Ort von Sehnsucht, Hoffnung, Weissagung, Staunen und Schauder gewesen. Offener Überhorizont für mystische Versenkung, kosmisches Verstehen und metaphysische oder szientistische Spekulationen. Die Freiheit des Unerreichbaren verkehrte sich jählings. Einigen mochte ein Gefühlt desperater Freiheitsberaubung dämmern. Vollkommen unerwartet jedenfalls wähnte sich die Öffentlichkeit nun von roten Sonnen, Sternen und Raketen ausspioniert.
Dank der fernen Signale konnte die Spur des Sputnik gut verfolgt werden. Mit den damals zur Verfügung stehenden Medien freilich, also Funkempfängern, Teleskopen, Ferngläsern. Wer meinte, die Bahn mit bloßem Auge verfolgen zu können, sah vermutlich verglühende Teile der abgetrennten Raketenstufe.
Für die bis heute faszinierende technische Leistung zeichnete Sergei Pawlowitsch Koroljow verantwortlich. Seine Biografie lohnt, studiert zu werden. Er wurde denunziert, gefoltert, zu zehn Jahren Haft im Gulag verurteilt, erkrankte an Skorbut, verlor sämtliche Zähne, wäre beinahe verhungert.
Mein Punkt heute ist, dass er in einem bestimmten Aspekt mit #SteveJobs verglichen werden kann. Denn es war #Koroljow, der die semiotisch-psychologische Bedeutung der #Kugel als Form erkannte und dafür sorgte, dass der #Satellit aus Aluminium glänzte wie ein Kinderpopo. Die Crew hatte das Ding zu wienern, bis nicht ein Fleck mehr daran zu sehen war. Auch die vier langen Antennen waren nach seinen Plänen angebracht.
Die ästhetische Meisterleistung war russisches #Storytelling im besten Sinn. Denn so trat der künstliche Satellit von Anfang an als argloser Baby-Mond auf den Plan, als kleiner Trabant, wörtlich, als Begleiter der Erde und nicht als technisches Objekt, das einen Himmelskörper umkreist.
Man erinnert sich an Jobs bahnbrechend innovativen Ansatz, dem PC seine Techniklastigkeit auszutreiben. Indem er die langweiligen grauen Kisten rekonzipierte, eben mit ästhetisch-mathematische Grundformen wie den Würfel („Cube“) oder den organisch-eiförmigen iMac umwertete, schuf er die Basis für eine neue, emotionale Zugänglichkeit seiner Apparate. #ElonMusk ist ein veritabler Nachfolger im Geiste, wenn man sich die Redesigns der Astronautenanzüge und Raketen anschaut.
Einstweilen die Welt 1957 noch TASS-Nachrichten debattierte, Risiken abschätzte und die 500. Umkreisung von SPUTNIK EINS, verfolgte, legte Koroljows Team nach. Abgelegen, in der Nähe von #Baikonur in #Kasachstan, nahe der Siedlung #Tjuratam war der Weltraubahnhof, Kosmodrom genannt, entstanden. Und eine Art Hundezuchtstation.
Denn als die Sowjets am 4. November 1967 die Rakete R-7 mit SPUTNIK ZWEI ins All zündeten, befand sich nicht nur Funktechnik an Bord. Erstmals schossen sie ein lebendiges Wesen, die Hündin #Laika mit in den Erdorbit.
Wer die Geschichte der Weltraumtiere erforscht, kommt an Laika, aber auch an #Belka und #Strelka nicht vorbei. Letztere waren die ersten beiden Tiere, die am 19. August 1960 wohlbehalten aus dem All zurück kehrten und den Raumflug Juri Gagarins (am 12. April 1961) ebneten.
Die symbolischen Held:innen-Geschichten um die sogenannten Kosmonauten-Hunde oder Space-Dogs haben allerdings Webfehler. Sie stimmen nur sehr bedingt und sind ein Lehrstück für Ideologiekritik, Technologiefundamentalismus und die Verselbständigung von #NiceStories. Die russische PR hatte ganze Arbeit geleistet. Doch wie perfide man sich der Tiere bemächtigte, erschließt sich erst Jahrzehnte später.
Einem Kalkül Koroljows entsprechend, erwiesen sich Moskauer Straßenhunde als sehr viel widerstandsfähiger als jene Primaten, mit denen die Amerikaner experimentierten. Das russische „Institut für Luftfahrtmedizin“ erhielt daher Hunde, die einem vorgegebenen Standard entsprachen: Nicht schwerer als 6kg und nicht höher als 35cm Wuchshöhe. Kidnapping nach der optimalen Größe für die hermetische Kabine.
Niemand wusste seinerzeit, wie der Organismus den Aufenthalt im Weltraum verkraften würde. Von Ausdehnung der inneren Organe bis hin zu kochendem Blut in den Arterien schien alles möglich. Laika und viele andere Tiere starben wie es euphemistisch gerne heißt ‚im Dienst‘ für die Menschheit.
Mittels Gewöhnungsprozeduren versuchten die Forscher, die Tiere vorzubereiten und die Grenzen des Machbaren auszuloten. Doch das vermeintliche Gewöhnen war weiten Teils das Aussetzen an qualvolle Bedingungen wie Isolation, Vibration, Lärm, Dekompression, Zentrifugalkräfte, Schwerelosigkeit, Assanierungsanlagen, Schleudersitz- bzw. Katapultvorrichtung usw. ging voll auf Kosten der Tiere. Planvoll geduldete Tierquälerei.
Das popkulturell wirksame Nachbild des niedlichen kleinen Hundes, der im Weltraumanzug mit gläserner Kugel munter Richtung Mond fliegt, zeigt in Wahrheit erhebliche Risse.
Auch die Positionen von Belka und Strelka , die als Präparate verträumt sehnsuchtsvoll den gestirnten Himmel über sich, das moralische Gesetz in sich, anhimmeln, sind schlimmste Tatsachen-Klitterungen, ideologische Verkehrung und rechtfertigen in keiner Weise, was Laika und ihre Gefährtinnen erduldeten. Das bekannte Titelfoto zeigt sie angeblich kurz vorm Abflug, was ganz sicher nicht der Fall ist. Auch wurden die offiziellen Pressefotos geschönt, die struppigen Straßenhunde sollten – Instagram lässt von ferne grüßen – fotogener erscheinen.
„Ich erinnere mich, dass die Hunde für die Zeitungen schöner, besser gebaut und mit intellektuellem Schnäuzchen erscheinen mussten.“ (Oleg Georgiwitsch Gasenko)
Es war #OlegGasenko, der 1998 selbstkritisch den Tierversuch mit Laika so auf den Punkt brachte:
„Die Arbeit mit Tieren ist für uns alle eine Quelle ständigen Kummers. Wir behandeln sie wie Babys, die nicht reden können. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr tut mir das Ganze leid. Wir haben zu wenig aus dieser Mission gelernt, um den Tod des Hundes zu rechtfertigen.“
Oleg Georgiwitsch Gasenko
#Perestroika, #Wiedervereinigung nebst Zerfall der #UDSSR öffneten Archive, die lange unzugängliches Material zutage brachten. Bezeichnenderweise sind es nicht wissenschaftliche Texte, die das heile Bild des menschlichen Fortschritts konterkarieren:
#NickAbdazis Graphic Novel Laika, genau wie der Dokumentarfilm #Spacedogs von #ElsaKremser und #LevinPeter versuchen künstlerische Annäherungen, um uns die Stoffe in ihrer Komplexität näher zu bringen. Dabei haben Kremser und Peter dank hartnäckiger Recherche, verlässlicher Transparenz und überzeugender Bildsprache Vertrauen für ihr filmisches Projekt erzeugen können. Auch Abdazis konnte erstmals die Ambiguität der damaligen Akteur:innen – nicht zuletzt Koroljows eisernen Willen und der Kreis der für die Tiere Verantwortlichen, wie Gasenko und andere – in die Sprechblase der Graphic Novel bringen.
Technik hat zu allen Zeiten die Reichweite der Menschen verändert, meist ihren Radius vergrößert. Prinzipiell ist gegen technische Errungenschaften auch solange nicht zu sagen, solang ihre Balancen und Dysbalancen transparent bleiben und ihre Auswirkungen nicht von einigen (happy) fews über (sadly) manys vorgegeben und in closed shops verhandelt werden. Im Fall von Laika nicht zuletzt von Menschen über bloße ‚Versuchstiere‘ (Hunde nebst Affen, Kaninchen, Mäusen, Ratten, Schildkröten). Nur, weil wir es können, dürfen wir „die kleinen ergebenen Brüder“ nicht rechtlos einspannen für unsere Zwecke.
Dass das #SpaceRace der 50er und 60er in unserer Zeit Fahrt aufgenommen und an Brisanz gewonnen hat, wird niemandem entgangen sein. Dass die Raumfahrt in Teilen privatisiert wird und sich damit privilegierte Zugänge sichert, stößt auf so geringe Resonanz, dass es mich wirklich befremdet. Wem gehört denn eigentlich das All? fragte ich in einem Exposé mit Null Resonanz.
Dominiert von Technologiekonzernen, Militärvertretern, Agencys, Lobbyisten, werden die Diskurse bislang recht einseitig geführt. Die Vision, einst auf anderen Planeten leben zu können (womöglich in gar nicht so ferner Zukunft zu müssen), fegt alles, was die instrumentelle, taktische, zweckdienliche Vernunft stören könnte, hinweg. Fragen in dieser Hinsicht sind lästig. Claims und wirtschaftlichen Interessen (#Rohstoffe, #Besiedelung etc.) dominieren und verweisen berechtigte Einwände als problem- statt lösungsorientiert.
Dabei verpufft die Warnung, im #Weltraum nicht die gleichen Fehler zu begehen wie auf der Erde. Wenn überhaupt (!), handelt es sich um eine #Allmende und kein nationales Privateigentum. Die Erforschung des Alls war nie frei von militärischen und wirtschaftlichen Interessen.
Als den Sowjets bei Kriegsende die Hinterlassenschaften der nationalsozialistischen Raketenforschung in die Hände fielen, hatten sie immerhin den Anspruch, die Geschichte möge sich nicht wiederholen; eine verzweckend missbräuchliche Verwendung wissenschaftlicher Forschung sollte im (kapitalismusbefreiten) Sozialismus ausgeschlossen, statt dessen alle Kräfte der besseren Zukunft, der neuen Menschheit gewidmet sein. Beim VI. Weltjugendfestival 1957 in Moskau wurde folgende Eröffnungsrede gehalten:
„Sie sind zum Festival aus allen Ländern (…) gekommen und wir begrüßen Sie so wie Sie sind. Wir sind der Ansicht, dass jedes Volk das Recht hat, sein Leben so aufzubauen wie es das wünscht: Wir haben unsere Ideen und Anschauungen niemals jemandem aufgezwungen und beabsichtigen nicht, dies zu tun. (…) Wachen Sie über den Frieden, vereinigen Sie Ihre jungen Kräfte zu seinem Schutz, zur Festigung der Freundschaft und des wechselseitigen Verstehens zwischen allen Völkern, kämpfen Sie für eine bessere Zukunft der ganzen Menschheit! Es lebe die Jugend – der herrliche Frühling der Menschheit! (…) Es lebe und gedeihe der Weltfrieden.“
Klement Woroschilow
Bittere Realität war: Die Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn durch Moskau und das bewaffnete Einschreiten gegen Reformen lag kaum ein Jahr zurück. Dem Redner, Klement Woroschilow, einem engen Vertrauten Stalins, klebte Blut an den Händen.
Und doch, darf die Absicht, der Festigung der Freundschaft und des wechselseitigen Verstehens zwischen allen Völkern zu dienen, nicht per se eine Hohn-Rede sein. Frieden zu schaffen, bedarf der Bereitschaft, anzuerkennen, was war und was nicht war.
Das betrifft insbesondere auch die Satelliten-Forschung: Ohne Satelliten hätten wir heute keine Wettervorhersagen, keine Navigationsgeräte, keine Telemedizin und keine satellitengestützte Dokumentation des Klimawandels (Permafrost-Schwund). Aber freilich auch kein Mega-Farming, keine XXL-Rinderzucht, keine Überwachung und anderes mehr.
Hier setzt mein Satelliten-Zyklus an. Mich interessierte an dem Material zunächst einmal das vielstimmige Sprechen, angefangen von den toten Tieren selbst, über die Mauern und Pilaster der Räume, die offiziellen Verlautbarungen der Funktionäre, bis hin zu den kulturellen Subtexten. Als solches verstehe ich etwa die bis heute Wirkung zeitigenden Konzepte des anthropozentrischen Fortschrittsglaubens, der alle Begrenzungen in Zeit und Raum überwindet – auch um einen hohen Preis. Was Langgedichte mit einem episch-balladesken Ton leisten können, bleibt abzuwarten. Wozu es sie in der Moderne gibt? Eine Frage, die neben inhaltlichen Sachverhalten das Thema Zeugenschaft dokumentarischen Materials berührt. Darüber hinaus als Live-Erlebnis aber auch Aspekte wie Rhytmus, Puls, Klang usw. angehen. Eigenschaften, die unsere Naturhaftigkeit berühren und erlebbar machen.
Wo wir – im weitesten Sinn – zuhause sein können, welche Bedingungen es braucht und wie wir uns einrichten können, dazu kann der Abend am 3.11.22 im Kunstverein München vielleicht Inspirationen geben. Die Texte von #LubiBarre und #JudithKeller sowie die Bilder von #FelicitasKirgis sind auf jeden Fall anregend und vielversprechend.
* Ein Auszug aus dem Satelliten-Zyklus, das Gedicht „Sputnik Eins“ findet sich im Jahrbuch der Lyrik 2022
Dieser Blogpost erschien am heutigen Datum zuerst auf LinkedIn. Ich habe mir diese Gedanken anlässlich der #Lesung am 3.11.22 um 20 Uhr im #KunstvereinMünchen in der Reihe MeinedreilyrischenIchs gemacht. #Lyrik von #LubiBarre (Hamburg) #JudithKeller (Zürich) #ElviraSteppacher (München) und #Kunst von #FelicitasKirgis (München).