Bloggerwalk zu Erika Mann: So geht Monacensia digital

Es gehört zu den reizvollen literarischen Experimenten, historische Personen in die eigene Gegenwart zu katapultieren. Der Kontrast erscheint umso reizvoller, je fremder die Persönlichkeit zur Jetztzeit ist. Ganz anders bei Erika Mann, der die Münchner Monacensia die erste eigene Ausstellung widmet. Die außergewöhnliche Frau einmal nicht als

  • Tochter von Thomas
  • Nichte von Heinrich
  • Schwester von Klaus.

Also als Ko-Fixstern all der anderen Manns. In deren Umlaufbahn selbst eine so illustre Persönlichkeit wie Erika Mann in den Schatten geraten kann.

Die Publizistin

Erika Mann wäre heute Aktivistin, Campagnerin, Influencerin, sie würde bloggen, twittern, nebenbei einige Communities managen und einen eigenen Videokanal betreiben. Warum sie das alles könnte? Weil sie es bereits getan hat, freilich mit den Mitteln ihrer Zeit, als Reporterin, Buchautorin, Kolumnistin, Glossistin.

Kaum zufällig eignet sich ihr Werk, um in den sozialen Medien aufbereitet zu werden. Erika Manns Content ist snackable, ohne light, pointiert, ohne platt zu sein. Vermeintlich Banales, angeblich So-Seindes des Alltags stellt sie mit scharfsinniger Analyse in einen aussagekräftigen Kontext, sei dieser gesellschaftspolitisch oder geschlechtssoziologisch.

Köstlich, wie sie aus den Konfitüre-Gepflogenheiten in Hotels eine Welt bräsigen Wohlgefallensein und unhinterfragter Geschlechterstereotype zeichnen kann. Stets gebe es gelbe oder rote Marmelade, bei den nobleren in kleinen Portionen, bei den günstigen in großen Bottichen. Die Frage etwa nach Johannisbeere – dunkelviolett – sei in den Augen der Ober die reinste Verstiegenheit, allenfalls Orangenmarmelade in den besseren Häusern und auch das nur auf unschickliches Bitten. Freilich: Die von Vater Thomas Mann gerne Erikind Genannte konnte es sich leisten, in Hotels zu gastieren. Gleichwohl, und das ist entscheidend, geht sie darin nicht auf.

Die Kabarettistin

Erika Mann glossiert, karikiert, parodiert, inszeniert. Schon als kleines Mädchen dem Dramaturgischen zugeneigt, setzt sie die Wirkung von Stimme, Pause, Gestik und Mimik gekonnt ein. Und sie weiß um die Kraft des subversiven Humors. Wer verstehen will, kann alles dechiffrieren, wer anklagen will, findet in all den Zweideutigkeiten so gut wie nichts.

Der wachsende Einfluss der NSDAP und ein persönliches Schlüsselerlebnis lassen Erika Mann gemeinsam mit der Schauspielerin Therese Giehse, dem Musiker Magnus Henning und ihrem Bruder Klaus eine Kleinkunstbühne ins Leben rufen. In der Tradition der „Elf Scharfrichter“ und des „Überbrettl“ gründen sie am 1. Januar 1933 mit der Pfeffermühle das erste politische Kabarett in München, in dem eine Frau die Leitung innehat. Erika Mann höchstpersönlich übernimmt alle wesentlichen Funktionen: Text, Dramaturgie, Management.

Die Pfeffermühle wird ein Erfolg, ist den Machthabern allerdings schon bald ein Dorn im Auge. ‚Tourneereisen‘ in die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg und die Tschechoslowakei schützen das Ensemble nicht. Trotz eintausend Vorstellungen, gedacht als „Patrouille der Menschlichkeit entlang der Front der Bestialität“ (Erika Mann), gelingt es nicht, an diese Erfolge im amerikanischen Exil anzuknüpfen. Das in den Vereinigten Staaten unübliche und gewagte Format trifft auf wenig Akzeptanz.

Die politische Rednerin

Sehr wohl erkennen die USA die ebenso geistreiche wie mutige Wortführerin der Peppermill. Sie bauen Erika Mann als Lecturer, als politische Rednerin, im Kampf gegen Nazi-Deutschland auf.

Ausgerechnet in Amerika, dem Land, das historisch als Wiege von Freiheit und Demokratie gilt, das laut Verfassung im Namen des Volkssouveräns agiert  – „We the people“ –, erfährt die Kabarettistin, Kriegsreporterin und Politische Rednerin Erika Mann eine herbe politische Enttäuschung im Kalten Krieg.

Die für Besucher kostenfreie Ausstellung, von der mehr hier nicht verraten werden soll, lohnt den Besuch in vielerlei Hinsicht.

Allein das ruhelose, hochproduktive Leben von Erika Mann fasziniert. Trotz oder eingedenk des splendiden großbürgerlichen Hintergrunds der Künstlerfamilie Mann, der in Faksimiles und Originalen überall durchscheint. Es ist die (veits-)tänzerische Zeit der Jahrhundertwende, in der es in Deutschland brodelt. Städte positionieren sich, Experiment und Restauration sind auf Kante genäht, mühsam halten sie zusammen.

Als Feministin, Automechanikerin, Rennfahrerin, Markenmacherin („The Mann Twins“), Nachlassverwalterin, Freigeistin und vieles mehr entscheidet sich Erika Mann stets für das Experimentelle. Sie kämpft für, wie sie es 1943 fassen wird, „die neue, die hellere Welt“. „Anstand, Freiheit, Toleranz“ bilden deren Dreigestirn.

Case Study: So geht Monacensia digital

Die Ausstellung ist auch in kommunikationsstrategischer Hinsicht interessant: Die neue Leitung und das Team der Monacensia trieb in Kooperation mit der Stadtbibliothek folgende relevante Fragen um.

  1. Wie kommen nichtkommerzielle Institutionen ihrem partizipatorischen Bildungsauftrag nach (auch im Blick auf die sogenannten nicht gebildeten Stände)?
  2. Wie lassen sich analoge Kunstschätze einer digitalen Öffentlichkeit präsentieren und wie kann man ihren Wirkungsraum virtuell erweitern?
  3. Wie kann die Faszination analoger Nachlässe ins Netz gebracht und möglichst barrierefrei zugänglich gemacht werden?
  4. Wie konzipieren MuseumsmacherInnen mit beschränkten Mitteln eine Wanderausstellung, die zu Partizipation einlädt?
  5. Welche Design-, Layout- und Formensprache transferieren Damaliges ins Heute, ohne übergriffig zu sein?

Das Konzept des sogenannten dritten Raumes lässt sich unausgesprochen erkennen. Am Beispiel #ErikaManns präsentierte sich die Monacensia digital reloaded.

Monacensia im Hildebrandhaus
Maria-Theresia-Str. 23
Barrierefreier Eingang: Siebertstr. 2
81675 München

Inklusion
Das Forum Atelier verfügt über eine induktive Höranlage.

Öffnungszeiten
Mo – Mi, Fr 9.30 – 17.30 Uhr
Do 12.00 – 19.00 Uhr
Ausstellungen auch Sa, So 11.00 – 18.00 Uhr

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines #Bloggerwalks am 11.11.2019 betreut von TanjaPraske

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