Ganz oben in den Chefetagen wünschen viele, dass endlich was geht beim Thema Künstliche Intelligenz (KI). Ganz unten in den selbstorganisierten Spaces der Maker oder Hacker beweisen viele, wie viel mit KI schon längst läuft. Dazwischen, in den weitläufigen Etagen zahlloser Stockwerke ahnen immer mehr, was mit KI auf sie zukommen könnte.
Weil sie aber dort KI weder – technisch betrachtet – mitentwickeln können, noch – politisch gesehen – Entscheidungen zur KI direkt steuern können, löst KI als Ganzes Unbehagen aus. Zum Schaden des Innovationsstandorts Deutschland.
Dass Verharren zu keiner Lösung führt und neben möglichen Risiken auch viele Chancen auslässt, war die Deep Story des Meetups im IBM-Watson Studio am 29. Oktober, also kurz vor Halloween.
Man mag wenig oder viel von dem uralten Brauch halten: mit seinen Schreckgespenstern, Skeletten, Geistern oder Fledermäusen erzeugt Halloween mindestens eine Unruhenacht. Durch Süßes oder Saures, trick or treat, kann sich jeder Gebannte, komfortabel auslösen. Anders bei den Störungen durch KI.
Um in den 21. Stock zu gelangen, braucht es nicht lange. Aber länger als gedacht. Man habe die Geschwindigkeit gedrosselt, einigen Besuchern sei es zu schnell gegangen. Schöner kann man es im Drehbuch eines Films über Zukunftsthemen nicht erfinden.
Oben angekommen, treffe ich auf eine Gruppe jüngerer TeilnehmerInnen. Elektrotechnik, Physik, Informatik, Theaterwissenschaft lauten die Fächer, in den sie studieren oder promovieren. Berufliche Stationen haben sie schon jetzt weit geführt: Consulting, Enterprises, Sciences…
Schnell entsteht ein lockeres Gespräch, mal Englisch, mal Deutsch, was die Dazustoßenden halt verstehen. Je weiter entfernt ihre Herkunftsländer, desto besser die Kenntnisse der deutschen Sprache. Totgesagte leben länger. Am Stehtisch das übliche Abklopfen, vielleicht etwas vorsichtiger als üblich, die Taxonomien, an denen man erkennt, wer was zu sagen hat, sind fluide geworden, unübersichtlich.
Alle von ihnen taugen für die Etagen oben, verstehen aber gleichzeitig viel von den Spaces ganz unten. Vermutlich genau wie die meisten der über hundert TeilnehmerInnen, die peu à peu eintrudeln und später den Vorträgen folgen. Weil ich verstehen möchte, was für die Menschen hier wichtig ist, lenke ich das Gespräch auf ihre Zukunftsprognosen. Schnell sind ethische Fragen berührt.
Hauptprobleme auf dem Weg zur Zukunft sind:
- dass Daten, anders als in China oder Amerika, nicht an jeder Ecke verfügbar sind
- dass Deutschland den Talenten keine Zukunft mehr bietet, nur China oder Amerika für sie in Frage kommen
- dass die großen Unternehmen hier zu spät auf den Zug springen
- dass Ökologie [und Ethik] hierzulande schnelle Entwicklungen verhindern
- dass Bildung in Deutschland von vorgestern ist, während es anderswo Coding für Kinder gibt.
Die Befunde sind bekannt. Nur, wie damit umgehen? Wohl kaum, indem man unter sich bleibt. Wie groß die Schreckgespenster wirklich sind, was echt, was Schattenspiel, wird sich nicht in Hinterzimmern klären.
Das zeigten in nuce die Vorträge des Abends. Moderatorin Dilek Sezgün, Leader for Infrasturcture, IBM startete damit, dass AI neben Artificial Intelligence immer auch Architectural Infrastructure braucht. Das AI Ecosystem, das IBM hierfür anbietet, vertritt Marco Schulten, der den Abend mitorganisiert. Weiter gings mit einem Überblick zum Watson Studio Produktportfolio und einer Präsentation am Beispiel Machine Learning. Alexander Richthammer, Data Science Technical Specialist bei IBM, führte vor, wie sowohl Clicker als Coder mit den KI-Testdaten arbeiten lassen, graphische Aufbereitungen der gefundenen Pattern inklusive.
Die Mühen der Prozessbildung in AI-Projekten am Beispiel von Softwareentwicklung illustrierte Dr. Hendrik Brakemeier, Senior AI Strategist, Applied AI. Die scherzhaft vorgebrachte Warnung, dass er nun zur Realität komme, war berechtigt. Nur zu deutlich wurde: Selbst wenn der fantastische Blick von der Dachterrasse alle beflügelt, sind die Herausforderungen, bis alle dort stehen können, enorm. AI Engineering ist keine quantitative Extension, sondern etwas qualitativ anderes. Das zu verstehen, ist das eine, es umzusetzen, die große Kunst. Angefangen von der Vision über die Use cases bis hin zu den Erfolgstreibern ist der Weg mühsamer als gedacht. Was tun, wenn man nicht einmal die Berufsprofile, für die Mitarbeiter kenn, die man sucht, um die Ziele zu erreichen.
Abschließend Musikalisches: Insights und Prediction am Beispiel von Is that Blues or is that Rock, Jazz, HipHop….? fragte Dr. Sebastian Lehrig, IT Architect / Data Scientist IBM. Er spielte live ein paar Takte Guitarre ein, um zu zeigen, wie Daten, Modell und Metriken bei KI zusammenspielen müssen.
Dass KI Blues-Pattern erkennt, ist nicht überraschend, Wiedererkennung, Präferenzbildung und Geschmacksprognosen sind am Markt. Dass sie ganz neuen Musikstile erfinden könnte, scheint beinahe interessanter. Die Verteilung von Ganz- und Halbtonschritten sowie mögliche Spielräume zwischen Tonskalen unterscheiden westliche von östlicher Musik stark. Hörgewohnheiten unterliegen kulturellen Prägungen. Was den einen nach ästhetischer Raffinesse, klingt den anderen stark dissonant. Doch auch hier zeigt sich, Näherungen sind möglich. Austausch, Wissen, Verständnis lassen sich nicht einseitig entwickeln.
Das gilt auch für die vermeintlichen Bremsklötze oder Verweigerer der KI. Ja, es kann umständlich sein, befremdlich klingen, ethische Fragen zu integrieren. Es macht das Produkt am Ende teurer. Aber ethische Fragen helfen, die Basis zu klären. Sie schaffen einen gemeinsamen Raum mit einer guten Grundlage. Sie helfen Fehler zu vermeiden, denen neue Technologien unterliegen können. Zumal bei Konsequenzen, die jenseits rein technischer Fragen unabsehbar sind. Der Blues beträfe uns alle.