#Blogswirken, als erstes beim Bloggenden selbst

Bloggerin Katrin Hilger von Hilgerlicious hat zur mehr Wertschätzung für’s Bloggen eingeladen und eine #Blogparade ausgerufen. Weil schon so viel Kluges dazu geschrieben wurde und bald ein Update, ach, was – ein ganz neu verfasstes schlaues Buch von Bloggerexpertin Meike Leopold von start talking erscheint, möchte ich hier ganz eng am Wort bleiben. Etymologie wirkt nämlich auch.

Ja, stimmt, wir alle wissen, dass es sich bei „Blog“ um ein Kunstwort, eine Neuschöpfung, einen Zwitternamen aus „Web“ und „Logbuch“ handelt, aber was ist eigentlich genau ein „Log“?

Ein Log (auch Logge; v. engl. Log = (ursprüngl.) Holzklotz) ist in der seemännischen Navigation ein Messgerät zur Bestimmung der Fahrt, der Geschwindigkeit von Wasserfahrzeugen. Es zeigt die im Wasser zurückgelegte Strecke an. (Zitat Quelle: Wikipedia)

Das an einem Seil hängende Holzbrett wird, verbunden mit einem Senklot, aus dem fahrenden Schiff geworfen. Da das so beschwerte Holz an der Stelle verharrt, das Schiff jedoch weiterfährt, lassen sich gefahrene Meter und Zeit ins Verhältnis setzen. Was unverzichtbar ist, um die (relative) Geschwindigkeit auszurechnen, ist die abgespulte Logleine.

Ein sehr sprechendes Bild – jedenfalls für mein eigenes Bloggen. Wenn mich ein Thema interessiert, werfe ich neben meinem Schiffchen das Senkblei mit dem Holz aus. Ich fahre also erst mal auf Sicht und in gewisser Weise blind für meine Geschwindigkeit. Der so entstehende Text ist ein Rohling, ausschließlich für mich und nicht zur Veröffentlichung gedacht. Mir wird klar, was ich alles noch nicht weiß, was ich nochmal durchdenken möchte usw.

Fahre ich weiter, führt das dazu, dass ich erneut Seil abrollen muss. Meist bin ich jetzt schon weit entfernt – zumindest von den Empfehlungen zweier wichtiger Gruppen: den Datenanalysten mit ihren für Blogs empfohlenen Zeichenzahlen und den Finanzanalysten mit ihren für Wirtschaftlichkeit empfohlenen Aufwandsangaben.

Als Steuerlotsin nehme ich mir die Freiheit, selbst zu vermessen, wie lang meine Leine sein muss. Stelle ich fest, dass die Geschwindigkeit zu bestimmten Themen schneller ist als ich fahren kann, hole ich das Log aus dem Wasser und publiziere – nichts.

Oder ich publiziere etwas, das so lang ist, wie ein Sachverhalt aus meiner Sicht braucht. Der Preis, den ich dafür in Kauf nehme, sind verstörend lange Zeiten, in den ich nichts blogge und vermutlich zwischendurch als verschollen auf hoher See gelte.

Insofern: Ja, bloggen wirkt, und zwar erst mal bei mir selbst.

Um ein Beispiel zu geben: Zum Thema Künstliche Intelligenz habe ich ein Blog mit dem Namen NatürlichKünstlich eröffnet, das ich gerne schneller befüllen würde, was aber im Zielkonflikt mit meinen Blogansprüchen steht. Das Thema ist zwar sehr en vogue und es gäbe sicher ein Forum für steile Thesen. Dummerweise hat Anspruch beim Bloggen mit Wasser und Holz zu tun.

Die Feststellung, dass andere nur mit Wasser kochen, ist weder beim Bloggen noch auf See wirklich hilfreich. Es fördert kein Vertrauen. Holz ist im Wasser wichtiger als manch einer, der schwimmen kann, denken mag und deshalb gerne kopfüber in kalte Wasser springt.

Im Wasser, erst recht auf hoher See ist Holz überlebenswichtig. Zum Bau von Kanu, Karavelle oder Floß, braucht es dicke Bretter, übrigens genau jene, die sich auch unter den besten Bloggenden finden, weil sie sich den Luxus leisten, dicke Bretter zu bohren. Tl;dr kokettiert damit in gewisser Weise, weil sich Tl;dr nur erlauben kann, wer im vermeintlich Trockenen sitzt.

Ein Longread, das seinen Namen verdient, fesselt seine Leser_innen gerne und langanhaltend. Es hat nicht nur für den Augenblick, sondern mitunter für sehr lange Zeit Bestand. Blogger können Aufgaben wahrnehmen, die für eine Demokratie unverzichtbar sind.* Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft, erst mal bei sich selbst mit dem Blog etwas zu bewirken.

Dann lohnt sich auch die Energie, die es zweifellos kostet, Fahrt aufzunehmen: Um sich und andere mit hinauszunehmen zur Fahrt ins Offene, meinetwegen auch auf zu „Neuland“.

So heißt “to log something.” auf Englisch „etwas abholzen“, im Sinne von Bäume fällen („to cut down trees in a forest for their wood”). Wohingegen “to log on/off” bekanntlich ein elektronisches sich Ein/Auswählen oder Ein-/Ausschalten bedeutet. Auch dies eine bemerkenswerte Etymologie, die einiges über den Zusammenhang von Holz und Strom – metaphorisch vom Zusammenhang  zwischen Print und Digital – verraten könnte.

Volle Fahrt voraus heißt immer öfter Kollisionsgefahr mit Unvorhersehbarem. Bei der Akzeptanz von Künstlicher Intelligenz spielen Geschwindigkeit, Geländegewinn und Genauigkeit jedenfalls mal mit-, mal gegeneinander. Gefahr und Gewinn hängen, so gesehen, am selben Faden oder Seil.

In einem Blog präzise an seinem Tau zu ziehen kann darum mehr bringen als das beliebte Tauziehen.

Blogs können wirken, jedenfalls beim Bloggenden selbst.

 

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*Vgl. dazu einen älteren Beitrag von mir „Können Blogs den klassischen Journalismus ersetzen?“

https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0010-3497-2006-2-117/koennen-blogs-den-klassischen-journalismus-ersetzen-zum-strukturwandel-durch-den-journalismus-der-buerger-jahrgang-39-2006-heft-2