Der Forschungsgipfel 2019 (#FoGipf19) war sicher nicht auf Show ausgelegt. Vielmehr bot das Format ein gutes Spektrum über den derzeitigen Diskurs verschiedener Interessengruppen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung im weitesten Sinn.
In nuce zeigte der Forschungsgipfel sämtliche Vor- und Nachteile, die mit dem Standort D verbunden sind. Zwischen „Einfach mal machen“ und „endlich schneller werden“ einerseits und zwischen „lieber sauber kategorisieren, statt Äpfel mit Birnen zu vergleichen“ andererseits bewegten sich zahlreiche Wortbeiträge. Immerhin, es geht um viel, nicht zuletzt Investitionen.*
Dazwischen Keynotes, durchweg informativ. Am eindrücklichsten blieben allerdings die, die ihr Thema „plastisch“ aufbereiten konnten, z.B. Katharina A. Zweig vom Algorithm Accountability Lab in Kaiserslautern und Sami Hadaddin, Direktor des Munich School of Robotics and Machine Intelligence und Lehrstuhlinhaber für Robotik und Systemintelligenz an der Technischen Universität München.
Klar, mag man einwenden, Wissenschaft ist ja nun mal etwas trocken, und kaum zufällig sitzt Storytelling inzwischen in fast jedem Auditorium, das auf sich hält.
Menschen lernen auf komplexe Weise. Spiegelneuronen im menschlichen Gehirn lösen Lernen bereits durchs Zusehen aus. Wer wollte, konnte also bei Zweig und Hadaddin durch Nacherleben und sich Einfühlen sehr konkret Zweierlei erleben. KI zum Anfassen :
- Wie wäre es, wenn Roboter neben mir (bzw. für mich oder statt meiner) arbeiten?
- Was, wenn ich selbst die Algorithmen der Beurteilungskriterien entwickeln müsste?
Künstliche Intelligenz ist seit jeher Gegenstand von Projektionen. Je besser ich mich konkret damit auseinandersetzen kann, desto eher werde ich sowohl die Chancen als auch die Risiken realistischer einschätzen. Denn um KI ranken zwei totalistisch-fatalistische Mythen, die von Interessengruppen genutzt werden.
Mythos Nummer Eins lautet: KI rettet die Menschheit.
Mythos Nummer Zwei lautet: KI rottet die Menschheit aus.
Beide sind in der Zuspitzung wahrscheinlich falsch. Richtig ist, dass KI uns alle herausfordert. KI kann Angst machen, aber auch Lust auf sie wecken. Daher darf das, was KI in unserer Gesellschaft kann, nicht ohne diese entschieden werden.
Wie aber soll diese entscheiden, wenn sie de facto nicht abgeholt ist. Die großen Stiftungen haben diese Aufgabe erkannt und nehmen sich zum Glück mehr und mehr ihrer an. Vollkommen zu Recht fragt Manuela Lentzen: „Es wäre schön, wenn die Menschen wüssten, mit wem sie es zu tun haben.“
Denn auch das hat der Forschungsgipfel gezeigt. KI ist weitgehend unstrittig, wenn sie fehlerhafte Schrauben vom Band aussortieren soll. Doch gerade in den Feldern, wo es um ethisch relevante Fragestellungen für Menschen geht, gibt es eine Bring- und Holschuld zwischen Politik und Gesellschaft.
Jüngere Männer, technikaffin, und sachverständig kennen sich am besten über Chancen und Risiken von Algorithmen aus.**
Sollen sie entscheiden, was – beispielsweise im Bereich Gesundheit/Pflege – ganze Generationen von älteren Frauen und Männern betreffen wird?! Menschen mit Stimmrecht wohlgemerkt und natürlicher Intelligenz.
Wie eine Studie zeigt, lehnen noch heute bis zu 40 Prozent eine Beteiligung von Algorithmen bei der Diagnose ab (S. 26). Vielleicht nicht ganz zu Unrecht, wenn man in Betracht zieht, dass auch KI Strategien des Pseudo-Lernens (Stichwort „Schlauer Hans“) entwickeln kann. Vielleicht aber auch nur eine Unkenntnis über das Leistungsvermögen. Vielleicht werden Erkrankte irgendwann fragen, ob denn auch eine KI über den Befund geschaut habe. und darum bitten, dass das geschehen möge.
KI fordert uns ethisch, philosophisch, gesellschaftlich, kulturell, medizinisch, technisch, wirtschaftlich und last but not least politisch heraus. Dazu gilt es, die Kategorien sauber zu trennen und auf vielfache Weise zu illustrieren du zu erproben, was KI kann. Im Comic, als Zeitschrift, im Film…
Es ist an der Zeit, zu aufzuzeigen, was KI aus Deutschland und Europa besser kann. Und sie dort, wo es unstrittig ist, dann auch machen lassen.
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*Erneut zeigte sich, dass in Deutschland eben Wirtschaft nicht gleich Wirtschaft ist: Die vorherrschenden mittelständischen, traditionell familien- oder inhabergeführten Unternehmen kämpfen an anderen Stellen als die großen Konzerne mit eigenen Inkubatoren und ausreichend Venture Capital .
Der Beitrag erschien zuerst auf meinem Blog
https://natuerlichkuenstlich.wordpress.com